12  Schritt 1: Ziele festlegen – Wofür investierst du?

„Wer sein Ziel kennt, findet den Weg.“ – Laotse

Bevor du dein erstes Portfolio zusammenstellst oder einen ETF auswählst, brauchst du eine Sache, die oft unterschätzt wird: Klarheit über deine Ziele. Ohne sie wirkt Investieren schnell chaotisch, zufällig oder stressig. Mit ihnen wird es zu einer Reise, die du bewusst steuerst.

Ziele sind der Rahmen, in dem du deine Entscheidungen triffst. Sie helfen dir zu verstehen, warum du investierst, wie viel Risiko du eingehen kannst und welche Strategien für dich überhaupt sinnvoll sind. Du musst dafür nicht dein ganzes Leben durchplanen. Aber du brauchst eine grobe Richtung – eine Art persönliche Landkarte.

ABB. 12.1: Der Startpunkt deiner Investmentreise

12.1 Warum klare Ziele der Startpunkt sind

┌───────────────────────────────┐
│   KLARE ZIELE = KLARER PLAN   │
│   • Weniger Stress            │
│   • Weniger Panik             │
│   • Mehr Motivation           │
└───────────────────────────────┘

Stell dir vor, du würdest eine Reise planen, ohne zu wissen, wohin sie gehen soll. Du würdest am Flughafen stehen, auf die Anzeigetafel schauen und einfach irgendeinen Flug buchen. Genau so fühlt sich Investieren ohne Ziele an: möglich, aber chaotisch.

Wenn du ein Ziel definierst, passiert Folgendes:

👉 du weißt, welchen Zeithorizont du anpeilst
👉 du kannst besser einschätzen, wieviel Risiko angemessen ist
👉 du hast eine klare Orientierung, falls du später unsicher wirst
👉 du brauchst weniger Energie für spontane Entscheidungen

Ziele bringen Ruhe, Struktur und Fokus ins Investieren. Sie sind keine Bürokratie, sondern ein persönlicher Anker.

12.2 Die drei grundlegenden Zielkategorien

Um dir das Zielsetzen leichter zu machen, arbeiten wir mit drei einfachen Zeithorizonten. Du musst sie nicht absolut sehen – sie sind Richtwerte, keine Regeln.

12.2.1 Kurzfristige Ziele (0–5 Jahre)

[ Sicher & Stabil ]
    ↓
Notgroschen • Laptop • Führerschein
Kaution • größere Anschaffungen

Das sind Pläne, die eher Sicherheit als hohe Rendite brauchen. Beispiele:

✅ Notgroschen
✅ Führerschein
✅ Laptop, Handy, Möbel
✅ erste Wohnung, Kaution
✅ eine Reise oder ein neues Fahrrad

Hier ist Kapitalerhalt wichtiger als Wachstum.

12.2.2 Mittelfristige Ziele (5–10 Jahre)

[ Die Balance aus Chance + Sicherheit ]
      ↓
Weiterbildung • Sabbatical • Startkapital

Hier beginnt die Balance: etwas Wachstum, etwas Sicherheit.

Typische Ziele:

✅ Weiterbildung oder Berufsumstieg
✅ ein Sabbatical
✅ Gründungsideen
✅ eine größere Anschaffung

12.2.3 Langfristige Ziele (10+ Jahre)

[ Wo der Zinseszins seine Magie entfaltet ]
             ⤵
Altersvorsorge • Vermögensaufbau • Freiheit

Hier entfaltet der Zinseszins seine volle Wirkung.

Dazu gehören:

✅ Vermögensaufbau
✅ Altersvorsorge
✅ finanzielle Freiheit
✅ Flexibilität im Berufsleben
✅ Ruhe vor finanziellen Sorgen

Langfristige Ziele sind der Motor deines Portfolios.

12.3 Wie du herausfindest, was du wirklich willst

Viele Menschen tun sich schwer, ihre Ziele auszusprechen, weil sie glauben, ein Ziel müsse riesig und perfekt formuliert sein. Dabei geht es beim Investieren um einfache Fragen.

Hier eine kleine Selbstreflektionskarte, die hilft:

┌────────────────────────────────────┐
│     DEINE ZIELKARTE – 3 FRAGEN     │
├────────────────────────────────────┤
│ 1. Was möchte ich mir in 1–5       │
│    Jahren ermöglichen?             │
│                                    │
│ 2. Was wäre ein echter Fortschritt │
│    für mein Leben in 5–10 Jahren?  │
│                                    │
│ 3. Wie soll mein Leben aussehen,   │
│    wenn Geld kein Stressfaktor ist?│
└────────────────────────────────────┘

Eine bewährte Methode ist, dich zu fragen:

„Wie würde mein Alltag aussehen, wenn ich keine Geldsorgen hätte?“

Meistens tauchen dann überraschend klare Antworten auf:

👉 weniger Stress
👉 mehr Freiheit
👉 mehr Zeit für Dinge, die dir wirklich wichtig sind
👉 keine Angst vor ungeplanten Ausgaben
👉 Entscheidungen ohne finanziellen Druck

Deine Ziele müssen nicht spektakulär sein. Sie müssen nur ehrlich sein.

12.4 Wie viel Risiko passt zu dir?

ABB. 12.2: Risikokomfort verstehen

Deine Ziele bestimmen nicht nur, wie lange du investieren möchtest, sondern auch, wie viel Risiko du annehmen kannst – emotional und finanziell.

Zwei Fragen sind entscheidend:

  1. Wie stabil ist deine aktuelle Lebenssituation? Hast du Rücklagen? Einen sicheren Job? Schwankende Einnahmen?

  2. Wie reagierst du emotional auf Schwankungen? Könntest du ruhig bleiben, wenn dein Portfolio kurzfristig 10 % verliert? 20 %? 30 %?

Es geht nicht darum, „mutig“ zu sein. Es geht darum, ehrlich zu sein.

Je langfristiger dein Ziel, desto eher kannst du Volatilität aushalten. Je kurzfristiger, desto wichtiger ist Stabilität.

Darum helfen einfache risk-check-Visualisierungen:

RISK CHECK – Welcher Typ bist du?

[■■□□□□] Verlust von 10 %: unangenehm
[■■■□□□] Verlust von 20 %: stresst spürbar
[■■■■■□] Verlust von 40 %: absoluter Albtraum

Und:

STABILITÄTS-FAKTOR:
Job sicher?     [■■■■■]
Einkommen stabil? [■■■■□]
Notgroschen?     [■■■□□]
Emotionale Ruhe? [■■■■■]

So bekommst du ein Gefühl: Welche Schwankungen kannst du wirklich aushalten?

12.5 Beispiel: Lisa, 19 – Der Wunsch nach Stabilität

┌──────────────────────┐
│    PERSONA: LISA     │
├──────────────────────┤
│ Alter: 19            │
│ Lebensphase: Azubi   │
│ Fokus: Sicherheit    │
└──────────────────────┘

Lisa steckt mitten in ihrer Ausbildung. Sie hat wenig Erfahrung im Umgang mit Geld, aber ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit. Als sie beginnt, ihre Ziele aufzuschreiben, merkt sie schnell, dass es vor allem um Klarheit in ihrem Alltag geht:

👉 ein Notgroschen
👉 ein neuer Laptop
👉 der Führerschein
👉 irgendwann eine eigene Wohnung

Ihre langfristigen Ziele sind weniger konkret, aber sehr emotional: Sie möchte finanziell unabhängig sein und keine Angst vor unerwarteten Rechnungen haben.

Beim Thema Risiko wird ihr bewusst, dass sie Schwankungen zwar akzeptieren kann, aber sich bei starken Verlusten unwohl fühlen würde. Ein risikoreiches Portfolio wäre nichts für sie – und das ist völlig in Ordnung.

Lisa zeigt, wie wichtig es ist, auf das eigene Bauchgefühl zu hören.

12.6 Beispiel: Samir, 27 – Der analytische Freigeist

┌─────────────────────────┐
│       PERSONA: SAMIR    │
├─────────────────────────┤
│ Alter: 27               │
│ Beruf: IT               │
│ Fokus: Freiheit & Plan  │
└─────────────────────────┘

Samir ist das Gegenteil von Lisa. Er liest viel über Finanzen, kennt ETFs und versteht Risiko statistisch. Was ihm fehlt, ist die emotionale Verbindung zu seinen Zielen.

Als er sich hinsetzt, merkt er, dass ihn vor allem ein Gedanke antreibt:

Er möchte frei entscheiden, wie er arbeitet und lebt.

Seine Ziele lauten schließlich:

👉 in ein paar Jahren ein Sabbatical nehmen
👉 später eine 30-Stunden-Woche ohne finanzielle Sorgen
👉 langfristig Vermögensaufbau für echte Freiheit

Da er finanziell stabil ist und Schwankungen versteht, liegt seine Risikotoleranz höher. Ihn werfen Kursschwankungen nicht aus der Bahn.

Samirs Beispiel zeigt, dass datenorientierte Menschen oft erst dann klare Ziele formulieren, wenn sie den emotionalen Kern erkennen.

12.7 Warum dein Portfolio erst jetzt kommt

ZIEL  →  RISIKO  →  STRATEGIE  →  PORTFOLIO

Viele wollen wissen, welcher ETF der beste ist, bevor sie ihre Ziele formuliert haben. Doch das funktioniert nicht.

Ziele sind kein Zusatz – sie sind der Startpunkt. Sie bestimmen:

👉 wie viel Risiko sinnvoll ist
👉 wie du Rückschläge einordnest
👉 wie du langfristig dranbleibst
👉 wie dein zukünftiges Portfolio aussieht

Ein Portfolio ohne Ziele ist Zufall. Ein Portfolio mit Zielen ist Strategie.

12.8 Was du aus diesem Kapitel mitnehmen solltest

👉 Investieren ohne Ziele funktioniert – aber schlecht. Mit Zielen wird es leichter, klarer und entspannter.
👉 Es gibt drei sinnvolle Zeithorizonte: kurzfristig (Sicherheit), mittelfristig (Balance), langfristig (Wachstum).
👉 Deine Ziele müssen nicht groß sein. Sie müssen nur ehrlich sein.
👉 Deine Risikotoleranz hängt von zwei Dingen ab: emotionaler Belastbarkeit und deiner Lebenssituation.
👉 Zwei Menschen können dieselbe Rendite erreichen, aber völlig unterschiedliche Portfolios brauchen – weil sie andere Ziele haben.

12.9 Zum Nachdenken

Wenn du an die nächsten fünf Jahre denkst – welche Entscheidung würdest du treffen, wenn Geld keine Sorge wäre?

Und was in den nächsten zwanzig Jahren?

Die Antwort ist oft der Schlüssel zu deinen echten finanziellen Zielen.

12.10 Ausblick

Im nächsten Kapitel baust du dein erstes Portfolio – nicht irgendein Portfolio, sondern eines, das zu dir und deinen Zielen passt. Wir verbinden dort alles, was du bisher gelernt hast, mit konkreten Entscheidungen: Asset Allocation, Risiko, Zeithorizonte und erste Schritte.